Nähe versus Autonomie in Partnerschaften

Jeder Mensch hat das Bedürfnis nach Nähe und nach Autonomie.

Diese beiden Grundbedürfnisse sind einander entgegengesetzt.

Auch kann es sein, dass Menschen unterschiedliche Nähe und Autonomiebedürfnisse haben. Andere Begriffe für Nähe können Kontakt, Geborgenheit, Abhängigkeit und Aufmerksamkeit sein. Alternative Formulierungen für Autonomie können Distanz, Freiheit, Unabhängigkeit, Selbständigkeit sein.

Viele Konflikte in Partnerschaften drehen sich um dieses Spannungsfeld Nähe versus Autonomie.

In der Zeit des Verliebtseins ist das Bedürfnis nach Nähe bei beiden Liebenden meist gleich oder ähnlich. Er schreibt ihr und sie schreibt ihm gleich oft. Beide wollen einander gleich oft sehen, beide gleich oft Unternehmungen gemeinsam machen.

Erst nach einigen Monaten, manchmal auch erst nach Jahren, kristallisiert sich bei einem der beiden PartnerInnen als erstes ein Autonomiebedürfnis heraus. Dies löst nicht selten eine erste Krise aus, die die Beziehung zu beenden droht.  Plötzlich will er nicht mehr immer händchenhaltend mit ihr am Sofa sitzen oder sie nicht immer mit ihm auf den Fußballplatz fahren.

In dieser Phase  der Beziehung ist es hilfreich zu wissen, dass es natürlich ist, dass nach der „Symbiose“ eine Zeit der Autonomie folgt. Jeder Partner braucht Abstand vom Partner, um einander wieder interessant und anziehend zu finden.

„Ich liebe dich. Im Moment brauche ich etwas Zeit und Raum für mich und meine Interessen!“ könnte eine beruhigende Mitteilung an den Partner sein, damit dieser nicht den Abstand als Beweis für schwindende Liebe deutet, mit Angst reagiert und zu „klammern“ beginnt. Aus schlechtem Gewissen stellt er seine Bedürfnisse zurück. Sie ist zunächst beruhigt. In ihm jedoch staut sich die Wut an. Unternimmt er doch etwas für sich allein, bekommt er Schuldgefühle. Ein Hin und Her von Wut und Schuld kann sehr belastend für ein Paar sein. Nicht selten trennen sich Paare, weil sie die Balance zwischen Nähe und Distanz nicht finden.

Auch innerhalb einer Beziehung bleibt jeder Mensch ein Individuum mit eigenen Interessen, Bedürfnissen, Rhythmen und Gaben. Es wäre Selbstverleugnung, sich immer dem Rhythmus des Partners anzupassen.

Idealerweise pendelt sich ein Paar mit der Zeit auf diesen beiden Polen ein. Die Partnerschaft bleibt dadurch lebendig und spannend. Sie sagt auch mal nein, er sagt auch mal nein. „Mir ist heute nicht nach Kino, aber geh du ruhig alleine!“ Es lindert das schlechte Gewissen, wenn der abhängigere Partner diesem seinen Freiraum erlaubt und gönnt.

Autonomie zu gewähren, heißt nicht, dass wir unser Bedürfnisse verleugnen müssen. selbstverständlich darf der Partner wissen, wonach ihr ist: „Ich wäre liebe heute Abend mit dir gemeinsam. Wenn es dir aber sehr wichtig ist, habe ich nichts dagegen, wenn du dich mit deinem Bruder triffst.“

Manchmal braucht es etwas Geduld, um einen Konsens zwischen den unterschiedlichen Bedürfnissen der Partner zu finden. Manchmal gibt es einen, manchmal auch nicht.

Wenn sie z.B. Gedanken an eine Trennung vom ihm beschäftigen, dann kann sie sich fragen, ob es vielleicht lediglich um kleine „Trennungen“ im Alltag geht. Vielleicht braucht sie etwas Eigenes? Eine eigene Meinung, einen eigenen Freundeskreis, ein eigenes Interessensgebiet, ein eigenes Auto? Auto steckt ja in AUTOnomie!

Ein eigener Raum kann hier helfen. Beinah jedes Kind hat sein eigenes Zimmer. Hat aber auch Mama einen eigenen Raum? Hat Papa ein eigenes Zimmer?

Ich höre oft in meiner Praxis, dass es als Rückzugsort oft nur das eher kühle Schlafzimmer gibt.

Frage: Wo hast du deine eigene sichere und behagliche Oase? Wo kannst du ungeniert weinen, schreiben, malen, tanzen, Musik hören, Yoga üben, meditieren?

 

 

 

 

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