Das Tabu rund um das Thema „Handynutzung“ dürfte langsam gebrochen sein, bei mir zumindest. Ich habe beschlossen, genau hinzusehen – darum meine heutige Betrachtung.
Langezeit hatte ich kein Handy, mittlerweile liebe ich den Vorteil, den es mir bietet. Das ist für mich eine der Fragen, die ich mir täglich stellen kann: „Liebe ich das Handy, oder liebe ich das, was man damit machen kann?“ Und ich ärgere mich manchmal darüber, wenn ich dem Handy in die Falle gegangen bin und in ihm versank.
Das tägliche Bild in der Lokalbahn macht mich schon noch betroffen: Jeder Mensch – zumindest beinah jeder Mensch – schaut auf sein Handy. Viele haben zudem Stöpsel in den Ohren. Ich gebe zu, dass ich dazu geneigt bin, innerlich den Kopf über diese Menschen zu schütteln, in mir also einen Widerstand gegen sie aufzubauen.
Doch wie sinnvoll ist es, einen Widerstand gegen eine Tatsache aufzubauen, die gegeben ist? Noch dazu, wenn ich mich dabei ertappe, selbst die ganze halbe Stunde in der Lokalbahn surfend zu verbringen und dabei das Gefühl zu haben, die halbe Stunde wären gerade mal 10 Minuten gewesen?
Also atme ich tief ein und aus, beobachte meine wertenden Gedanken, lasse sie vorüberziehen und übe mich in wertfreiem Gewahrsein dessen, was ist. Meine Praxis der Achtsamkeit, die mich seit 2004 begleitet, kann doch wohl nicht ganz umsonst sein.
Wenn ich bei anderen ein Verhalten negativ bewerte, weiß ich doch, dass ich dieses Verhalten bei mir selbst negativ bewerte. Entweder weil ich das gleiche mache, oder weil ich es gern machen würde und mir nicht erlaube, oder weil ich mich schuldig fühle, wenn ich es mache.. Ich schaue in einen Spiegel, den mir ein Mensch vorhält. Ich kann dann nur „Danke“ denken und mir ein buddhistisches Halblächeln schenken.
Achtsamkeit zu üben, bedeutet für mich, wertfrei wahrzunehmen, was jetzt in mir und um mich herum geschieht.
Eine Hilfe ist mir dabei das „Da ist ein Gedanke…“, „Da ist ein Gefühl von…“. Durch dieses „Da ist“ entsteht in mir innerlich ein Abstand zwischen einer Beobachterinstanz und den Dramen, die ich innerlich fabriziere.
Ich steige also aus meinem inneren Fernseher aus, entspannen mich, atme tief ein und aus und kehr zu mir und zu dem, was ansteht, zurück.
Die Atemfokussion ist mein wichtigster Anker für meine Aufmerksamkeit in mir. Wenn ich Menschen sehe, die auf ihr Handy schauen, bin ich mit meiner Aufmerksamkeit offensichtlich außer mir. Man sagt doch oft: Ich bin außer mir vor Ärger, oder vor Angst,…
Anstelle, außer mir zu sein, kann ich Folgendes üben:
1. Ich schaue den Menschen, die ihr Handy benutzen, weiterhin zu. Ich mache das so, als ob ich sie noch nie zuvor gesehen hätte (was eh meistens der Fall ist), atme dabei und übe nicht zu werten, sondern „kindlich zu staunen“.
2. Ich spreche die Menschen an (oder einen davon), falls ich das Bedürfnis nach Kontakt habe (was ich ehrlich gesagt manchmal gar nicht habe).
3. Ich greife genauso zu meinem Handy (bedanke mich innerlich für die Erinnerung, dass es ja auch ein Handy gibt, hätte ich doch glatt beinah vergessen) und mache das Gleiche: wischen, tippen, schreiben, lesen,…und dabei atmen.
4. Oder aber, ich kehre mit meiner Aufmerksamkeit zu mir zurück und besinne mich auf meinen Körper, meine Gefühle, Bedürfnisse und Gedanken. Ich entscheide mich einfach da zu sein. Ich wähle das Nichts, das Leermachen. Ich meditiere. Ich mache mich bereit, Inspirationen zu empfangen. Ich nütze die Zeit als Mußezeit…und frage mich innerlich:
Was würde Buddha zum Handy sagen? Wäre er dafür oder dagegen?
Buddha wäre weder dafür noch dagegen. Buddha würde weder am Handy anhaften (danach gieren), noch es ablehnen (verteufeln). Buddha flüstert mir zu, dass es nicht um eine Ja-Nein-Frage, sondern um die sog. W-Fragen geht. Wie? Wozu? Wie oft? Wann nicht?
Die einzige Ja-Nein-Frage, die er mir stellt ist: Hast du ein Handy, oder hat das Handy dich? Benütze oder gebrauche ich ein Handy, oder bin ich süchtig? Die Erwartung eines Geschenks löst immer Glückshormone aus. Entsprechend nachvollziehbar ist, dass ein Mail (=Geschenk) im Posteingang Glückshormone auslöst und wir genau danach süchtig werden. Diese Glückshormone sind es vermutlich auch, wieso manche Menschen ihren Posteingang öffnen, obwohl sie wissen, dass gar kein Mail eingegangen sein kann. Es könnte ja doch noch etwas unterm Christbaum liegen, hofft unser inneres Kind. Wenn wir uns daran erinnern, wie wir uns fühlten, bevor wir den Brief oder ein Packet eines lieben Menschen öffneten, dann wissen wir, was täglich in uns abläuft, wenn wir ca. 88 Mal (in USA ca. 2000 Mal) auf das Handy schauen. Das Handy triggert unsere Gier, unsere ungestillte Sehnsucht nach Zuwendung, nach Aufmerksamkeit, nach Geschenken, nach dem „Mutterbusen“, nach Kontakt, nach Nähe, letztlich nach Liebe.
Buddha würde mir raten, das Handy bewusst zu berühren, bewusst wegzulegen, bewusst einzuschalten, bewusst zu bedienen und mich dabei selbst nicht abzuwerten, zu schämen, schuldig zu fühlen, sondern wertfrei zu beobachten. Evtl. lade ich mir mal eine App herunter, die mein Handyverhalten beobachtet, denke ich mir. Es gibt sie nämlich. z.B. von Menthal (ohne Werbung). Die einzige Chance, die Handynutzung zu strukturieren, ist für mich der bewusste Umgang damit. Wie oft greifen Menschen automatisch, also unbewusst nach dem Handy? Genau dem können wir mit Bewusstheit entgegenwirken, ohne dagegen zu sein.
Entspannung statt Verspannung
Buddha würde mich außerdem fragen, ob meine Gesichts-, Kiefer-, Schulter-, Beine-, Armmuskulatur entspannt ist, während ich das Handy benutze. Es geht um das Wie anstelle dem Ob. Runzle ich meine Stirn, ziehe ich meine Schultern hoch, presse ich die Lippen aufeinander? Mit dieser angespannten Haltung mache ich die Handynutzung freilich zum Stress.
Wenn ich mir junge Menschen ansehe, beneide ich sei beinahe, denn sie gehen ganz locker mit dem Handy um. Für mich – mit meinen bald 52 Jahren – ist das Handy offensichtlich noch eine Herausforderung, sonst könnte ich mich ja auch dabei entspannen.
Ich übe also zu atmen, während ich das Handy bediene und jene Muskeln locker zu lassen, die ich beim Handytippen nicht brauche (es bleiben doch einige übrig).
Mit dem bewussten Atmen kann ich der Immersion entgegen wirken, ohne dagegen zu sein.
Atemfokussion statt Immersion
Immersion bezeichnet die Kraft, die meine Aufmerksamkeit (vielleicht sogar mein ganzer Geist?) in das virtuelle Medium hineinzieht. Egal, ob ich vorm TV (ich habe zwar keinen), im Kino, am PC oder Handy sitze: Schwups, mein Geist ist drin! Mit der Atemfokussion halte ich meinen Geist bei mir. Ich spüre, wie mein Atem ganz von selbst ein und ausströmt, das ist alles. Probiere das einmal: Benütze dein Handy und atme dabei! Lass deinen Atem frei fließen und spüre ihn. Darin besteht die Übung. Ich schenke damit ca. 50% meiner Aufmerksamkeit dem Handy, die anderen 50% jedoch belasse ich bei mir. Das ist meines Erachtens das einzig mögliche und gesunde Multitasking, das es gibt.
Die Klingel-oder anderen Signaltöne kann ich zudem als „Glocken der Achtsamkeit“ nützen. Immer, wenn es piepst, kehre ich zuerst zu meinem Atem zurück, bevor ich nach dem Handy greife.
Tätigkeiten abschließen statt unterbrechen
Buddha würde sagen, dass wir uns mit jedem Blick auf das Handy selbst bei einer Tätigkeit unterbrechen. Es sind nicht immer die äußeren Störenfriede, die unseren Geist zum blitzschnellen Hin- und Herwechseln – was irrtümlich als Multitasking gedeutet wird – zwingen. Nein, wir sind es selbst. Wir selbst unterbrechen uns, weil uns das Handy in den Sinn kommt und wir meinen, doch eben nur kurz mal einen Blick drauf werfen zu wollen. Wir selbst unterbrechen uns, wenn wir immer online – also ständig erreichbar – sind. Ist dies günstig für unser Ziel? Was ist unser Ziel?
Sein statt Tun
Buddha würde uns daran erinnern, wie wunderbar es sein kann, nur zu sein, absichtslos da sein. Nicht wollen, nichts ablehnen, nur atmen und ganz im Hier und Jetzt sein. Immer wenn ich eine Zeitlang im Handy war, war ich örtlich und zeitlich disloziert. Ich war vielleicht irgendwo in Deutschland (örtlich weit weg), bei einer Firma, die Handpuppen vertreibt und in der Zukunft (zeitlich weit weg), wenn ich mir vorstellte, wie diese Handpuppen irgendwann einmal in der Arbeit mit Gruppen benützen würde. Tauche ich irgendwann wieder aus der Dislozierung heraus, spüre ich, wie ich einige Moment brauche, um mich in der Gegenwart wieder zu orientieren. Ich stehe kurz neben mir. das macht das Handy mit mir, wenn ich nicht gleichzeitig in mir einen Anker setze, also z.B. bewusst atme. Ich habe mich für eine halbe Stunde im Handy verloren und darf mich erst mal wieder finden.
Mit der Übung, ganz im Hier und Jetzt zu sein, sammle ich Energie (der Achtsamkeit), ich beruhige und sammle meinen Geist und meine Emotionen, ich entspanne und regeneriere meinen Körper und ich bin geistesgegenwärtig, achtsam, ganz da.
Die Nachteile dieser Achtsamkeitsübung sind die Langeweile, die Leere, die scheinbare Sinnlosigkeit, das fehlende Drama, die fehlende Spannung. Sobald es langweilig werden könnte, greifen viele Menschen zum Handy. z.B. kommt jemand zur Bahnstation und bleibt stehen. Sofort greift er in seine Hosentasche und zieht das Handy heraus. Schade finde ich manchmal, dass der Mensch gar nicht zuerst runderhum schaut, wer da sonst noch steht. Der Mensch am anderen Ender der WhatsApp-Leitung interessiert uns mehr, als der sog. Nächste neben uns am Bahnsteig. Nun, es ist, wie es ist. Ich kehre zu mir zurück. Ich atme und beobachte mich…wie ich automatisch in meiner Tasche wühle…und es suche….das Handy.
Und dann gibt es wieder Momente, in denen es mir gelingt, einfach da zu sein. Momente, in denen es mir gelingt, alles um mich herum wertfrei zu betrachten, mich am Bahnsteig oder wo immer stehen zu spüren, atmend zu fühlen und zu wissen, dass ich mit allem verbunden bin. Wenn ich mich leer mache, dann kann es sein, dass ich erfüllt werde. Plötzlich kommt eine Idee, ein Einfall in meine innere Leere. Nur wenn ich eine leere Schale bin, kann ich erfüllt werden, oder?
Mit allen verbunden – „Welle oder Wasser“?
Buddha würde zum Schluss sagen, dass das Internet eine Analogie für das Intersein darstellt. Das Intersein besagt, dass wir alle mit allem verbunden sind. Er würde uns folgende Metapher anbieten, anhand derer wir dieses Intersein verstehen lernen können:
Auf der Ebene des Körpers und Egos sind wir einzelne Wellen auf dem Ozean des Lebens. Auf der Ebene des Geistes sind wir das Wasser, das in allen Wellen enthalten ist. Bleiben wir auf dem Wellebewusstsein, sind wir allein und getrennt von anderen Wellen. Tauchen wir in das Wasserbewusstsein ein, sind wir verbunden.
Im Intersein-Zentrum für Leben in Achtsamkeit übe ich immer wieder, in diese Leere von der Form der Welle – also in das Wasser – einzutauchen. Mal sehen, ob es mir gelingt, dafür das Handy zu Hause zu lassen.